Chris Watson und der Klang der Ozeane
Der Mann, der genau hinhört
Chris Watson hört gerade dort genau hin, wo andere eher weghören. Wie klingt die Wüste oder ist es unter Wasser wirklich still? Das sind die Fragen, die den Musiker und Klangforscher interessieren. Und, um die Antwort auf die zweite Frage direkt vorwegzunehmen: Nein – unter Wasser ist es keinesfalls still. Singende Weddellrobben, jagende Orcas oder knackende Korallenriffe – all das lässt sich im Akustikraum der aktuellen Gasometer-Ausstellung „Planet Ozean“ auf einer imposanten Klangreise durch die Weltmeere erleben. Aufgenommen hat diese Klangwelten Chris Watson, der dafür echte Pionierarbeit leisten musste.

Christopher Richard Watson - wie er mit vollem Namen heißt - geboren am 21. November 1953 in England, ist für seine innovative Herangehensweise an Klang und Musik bekannt. Mit einer Karriere, die sich über mehrere Jahrzehnte erstreckt, hat Watson nicht nur musikalische Akzente gesetzt, sondern auch das Verständnis von Klang als Kunstform maßgeblich beeinflusst. Als freischaffender Komponist und Tontechniker hat sich Watson auf die Schaffung von Raumklanginstallationen spezialisiert.
Watson wuchs in einem musikalischen Umfeld auf, das ihn früh prägte. Seine Leidenschaft für die Musik entwickelte sich bereits in der Kindheit, als er verschiedene Instrumente erlernte und sich mit den Klängen seiner Umgebung auseinandersetzte. Diese frühe Faszination führte ihn zu einem Studium der Musikproduktion und Tontechnik, wo er die technischen Fähigkeiten erwarb, die ihm später helfen sollten seine kreativen Visionen umzusetzen.
In den 1980er Jahren begann Watson sich einen Namen in der Musikszene zu machen. Er war Gründungsmitglied der einflussreichen experimentellen Musikgruppe Cabaret Voltaire und brachte sich und seine Klang-Experimente in zahlreiche Projekte ein. Besonders bemerkenswert ist dabei seine Zusammenarbeit mit dem renommierten britischen Musiker Brian Eno, mit dem er an mehreren experimentellen Projekten arbeitete. Diese Partnerschaft half Watson seinen eigenen Stil zu entwickeln und neue Wege im Umgang mit Klang zu erkunden.

Prägend für Watsons Arbeit ist sein Interesse an Naturgeräuschen und deren Integration in musikalische Kompositionen oder filmische Dokumentationen. 2025 erhielt Chris Watson für seine Arbeit an der David Attenborough-Produktion „The Secret World of Sound“ den renommierten British Academy of Film and Television Arts (BAFTA) Award für den besten „Factual Sound“. Diesen Award erhielt Watson nach 1996 für „The Life of Birds“ und 2012 für die BBC-Serie „Frozen Planet bereits zum dritten Mal. Für seine Arbeit an der BBC Produktion „The Wire“ erhielt er den Broadcasting Press Guild's Broadcaster of The Year Award (2012). Ein Jahr später gab es mit dem Paul Hamlyn Composers Award die nächste renommierte Auszeichnung. Verschiedenste internationale Galerien und Festivals gaben bei Watson Soundinstallationen in Auftrag, darunter die Sheffield Millennium Gallery, Opera North in Leeds, The National Gallery in London, der Louvre in Paris, die Aichi Triennial in Japan und Unsound in Krakau.
Watsons These ist, dass Klänge aus der Natur eine tiefere emotionale Resonanz erzeugen können als viele traditionelle Musikinstrumente. In seinen Projekten verwendet er oft Field Recordings – Aufnahmen von natürlichen Umgebungen – um eine Verbindung zwischen Mensch und Natur herzustellen.
So auch bei dem eingangs beschriebenen Projekt „Klang der Tiefe“, Teil der aktuellen Gasometer-Ausstellung „Planet Ozean“. Chris Watson fasziniert der Klangreichtum der Meere, den er mit Hydrophonen einfängt. Mit diesen speziellen Aufnahmen komponiert Chris Watson die akustische Reise vom Rhein zur Antarktis, die im Klangraum des Gasometers erlebt werden kann. Zum immersiven Erleben trägt die Inszenierung als dreidimensionaler Raumklang durch Tony Myatt bei. Der Soundkünstler und Experte für räumlichen Sound lässt die vielschichtige, dynamische Klangwelt des Ozeans so natürlich räumlich, differenziert und klar erstehen, als wäre man unter Wasser und mitten drin.

5 Fragen an ... Chris Watson
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Wie würden Sie sich selber betiteln? Sind Sie Musiker, Tontechniker oder Naturforscher?
Chris Watson: „Ich betrachte mich selbst als Tontechniker und Komponist, aber diese Berufsbezeichnungen beschreiben auch nur zum Teil, was ich mache.“ -
Wie kam es bei Ihnen zu der Verschiebung Ihres Fokus von musikalischen Klängen zu Naturlauten? Gab es ein prägendes Ereignis?
Chris Watson: „Ich habe mich langsam von Studioaufnahmen weg hin zu Aufnahmen vor Ort weiterentwickelt und finde diesen Prozess viel interessanter und kreativ herausfordernder.“ -
Was können Naturlaute, was Musik nicht kann? Was fasziniert Sie an den Klängen der Natur?
Chris Watson: „Ich bin der Meinung, dass alle Musik auf der ganzen Welt und in den verschiedenen Kulturen dadurch entstanden ist, dass die Menschen den Klängen, die sie in der Natur um sich herum hörten, zuhörten und sie dann nachahmten.“ -
Was waren die Herausforderungen technischer oder kreativer Natur bei dem Projekt „Klang der Tiefe“?
Chris Watson: „‘Klang der Tiefe‘ wurde mit Hydrophonen - speziellen Unterwassermikrofonen - aufgenommen, so dass die Arbeit am Aufnahmestandort eher einem „Angeln“ nach Klängen entsprach. Selbst nach sorgfältiger Recherche war es eine echte kreative Herausforderung, den besten Sound am ausgewählten Ort zu finden.“ -
Wie entwickeln Sie neue Ideen für Ihre Musik oder Projekte? Wie war das bei „Klang der Tiefe“?
Chris Watson: „Nach jahrelangen Aufnahmen auf, ab und in den fünf großen Ozeanen wurde mir klar, dass die Verbindung zwischen diesen riesigen Wasserwelten der Klang ist. Dies hat mich inspiriert eine Klangreise entlang des Meeresbodens zu komponieren, von der Mündung des Rheins bis zur Antarktis. Dabei geht es quasi einmal um die Welt – nur eben Unterwasser.“



„Klang der Tiefe“ im Gasometer Oberhausen
Die Ausstellung Planet Ozean wartet mit so einigen Highlights auf – eines davon ist die audiovisuelle Installation „Klang der Tiefe“. In einem eigens für diese Klangreise geschaffenen Akustikraum erleben die Besucherinnen der Ausstellung eine Klangreise quer durch die Weltmeere – von der Mündung des Rheins durch Atlantik und Pazifik bis zur Antarktis. Aus dem größten und klangreichsten Lebensraum der Erde erklingen die Rufe der Robben, der Gesang von Walen, die Pfiffe und Klicke jagender Delphine und das Knistern, Ploppen und Knallen winziger Krustentiere, ebenso wie die Geräusche der Meeresströmungen, das Knacken und Knarzen des Eises. Die von Chris Watson aufgenommene weitgehend unbekannten Klanglandschaft der Ozeane kann so im Gasometer Oberhausen entdeckt werden. Durch die Umsetzung von Tony Myatt als dreidimensionaler Raumklang finden sich die Besucherinnen zumindest akustisch inmitten hunderter Delphine oder zwischen singenden Wedelrobben wieder.
Inspiriert von Wasserklangbildern und Wellenbewegungen entwarf die Künstlerin Theresa Baumgartner das besondere Erscheinungsbild des Klangraums. Ein abstraktes Spiel amorpher Flächen und reflektierender Lichtszenarien verbindet Umgebung und Besucher, lädt sie ein, in das Gesamtkunstwerk „Der Klang der Tiefe“ einzutauchen. Insgesamt 120 Spiegelmodule verleihen dem Raumobjekt seine faszinierende Oberfläche. Jedes einzelne Modul ein Unikat, manuell geformt, gebaut und planvoll gehängt, von Theresa Baumgartner und Verena Bachl.